Grenzen der Gerichtsbarkeit. Irritationen und Herausforderungen der Justiz in Deutschland im 20. Jahrhundert

Grenzen der Gerichtsbarkeit. Irritationen und Herausforderungen der Justiz in Deutschland im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Benjamin Lahusen / Marcus Payk / Johanna Rakebrand / Karin Trieloff / Timo Walz, Humboldt-Universität zu Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.01.2018 - 27.01.2018
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Von
Stefan Jehne, Humboldt-Universität zu Berlin

Insgesamt 15 ReferentInnen, darunter einige NachwuchswissenschaftlerInnen, trugen aus laufenden oder bereits abgeschlossenen Forschungsprojekten vor, die sich gemäß der Thematik des Workshops mit Irritationen und Irregularitäten und damit besonderen Formen von Gerichtsbarkeit beschäftigten. Die Justiz soll in modernen Gesellschaften per definitionem eigentlich eine verlässliche und ordnungsstiftende Konstante sein, die losgelöst von äußeren Einflüssen nur auf positiver Rechtsgrundlage Gerechtigkeit erzeugen soll. Gleichwohl ist schon bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise erkennbar, dass die Justiz insbesondere in Krisen- und Ausnahmezeiten diesem Ideal kaum entsprechen kann. Im Zentrum des Workshops standen daher die Fragestellungen, wie die Justiz in solchen Ausnahme- oder politischen Umbruchszeiten agiert, wie sich möglicherweise daraus resultierende Veränderungen auf das Selbstverständnis des Justizwesens rückkoppeln und damit zu einer etwaigen Transformation dessen beitragen. Diese Fragestellungen sind in der historischen Forschung bisher nicht systematisch betrachtet worden.

Der von der VolkswagenStiftung unterstützte Workshop war in insgesamt fünf Panels zu je drei Vorträgen untergliedert. Das erste Panel trug die Überschrift „Sonderformen der Justiz“ und wurde von JOHANNA RAKEBRAND (Berlin) eröffnet, die sich in ihrem Vortrag der Disziplinargerichtsbarkeit in Theresienstadt widmete. Ihr Hauptaugenmerk lag dabei auf der Frage, ob es an einem Ort wie Theresienstadt überhaupt Recht geben konnte. Rakebrand bejahte diese Frage unter der einschränkenden Bedingung, dass Recht und Gerechtigkeit nicht gleichzusetzen seien. So existierten in Theresienstadt tatsächlich zwei Rechtssphären, eine deutsche und eine jüdische. In Letzterer waren jüdische Häftlinge wie Rolf Grabower tätig, die gleichzeitig Volljuristen waren. Vermutlich führte Grabower diese Tätigkeit aus, um sich so seine „juristische Identität“ bzw. eine Art „innere Ordnung“ auch nach seiner Deportation aufrechtzuerhalten.

EVA BALZ (Bochum) befasste sich in ihrem Vortrag mit den politischen Rahmenbedingungen des 1953 zur Regelung von Wiedergutmachungsansprüchen gegründeten Obersten Rückerstattungsgerichts von Berlin. Das dort tätige Richtergremium setzte sich aus drei deutschen sowie jeweils einem Richter der drei westalliierten Nationen zusammen. Die Tätigkeit an diesem Gericht – so betonte Balz – war zunächst außerordentlich unbeliebt und insbesondere die alliierten Richter waren nicht leicht für eine Mitarbeit zu gewinnen. Das Gericht sollte eigentlich nur für einen kurzen Zeitraum bestehen, blieb dann aber bis 1990 existent und war bis zu seiner Auflösung eine „Arena“ zwischen verschiedenen alliierten und deutschen Institutionen, die das Gericht jeweils in ihrem Sinne zu beeinflussen suchten.

Den Schlussvortrag des ersten Panels hielt PHILIPP DINKELAKER (Berlin) zur gerichtlichen Behandlung „jüdischer Kollaborateure“ in Nachkriegsdeutschland im Hinblick auf ihre Anerkennung als NS-Opfer. Im Zentrum seiner Ausführungen stand die Frage, wie sich diese Behandlung in beiden deutschen Staaten nach 1945 äußerte und welche Perspektiven dabei auf die Shoah entstanden. Dinkelaker konstatierte, dass eine Anerkennung als NS-Opfer oft von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv innerhalb der jüdischen Community abhing. Dabei war nicht die objektiv gegebene Verfolgung entscheidend, sondern vielmehr eine retrospektiv entworfene moralische Beurteilung des Opferverhaltens des Einzelnen während der NS-Zeit und zum Teil noch darüber hinaus.

Das zweite Panel mit dem Subthema „Praktiken der Verteidigung“ eröffnete TIMO WALZ (Berlin) mit einem Vortrag über die Rolle einer Gruppe linkssozialistischer Anwälte in den „Spartakus-Prozessen“ 1919. Walz führte in seinem Beitrag aus, wie diese Anwälte als Akteure vor Gericht zur Rezeption der Verfahren in der Öffentlichkeit beitrugen. Die Gruppe, die sich um Theodor Liebknecht und Kurt Rosenfeld konstituierte, konnte einige juristische Erfolge innerhalb der Prozesse verbuchen, indem sie die Missachtung von Angeklagtenrechten anprangerte und auch die Verfahren insgesamt als Siegerjustiz darzustellen vermochte. Diese Erfolge, verbunden mit ihren politischen Positionen, übertrugen sie aus dem Gerichtssaal in die breitere politische Öffentlichkeit, sodass Walz die Gruppe als ein wichtiges Sprachrohr für bestimmte politische Positionen bewertete.

Ursprünglich sollte sich den Ausführungen von Walz ein Vortrag von KARIN TRIELOFF (Berlin) über „Amtliche Verteidiger“ im besetzten Rheinland 1918–1930 anschließen, der krankheitsbedingt leider entfallen musste. Daher folgte der Beitrag von EVA-LOTTE KALZ (Göttingen), in welchem sie sich mit dem Auftreten von Rechtsanwälten in NSG-Verfahren in den 1960er- und 1970er-Jahren auseinandersetzte. Im Zentrum ihres Interesses stand das Auftreten solcher Rechtsanwälte vor Gericht bzw. die Interaktion mit ihren jeweiligen Mandanten, was sie anhand der Rechtsanwälte Georg Bürger und Benno Erhard illustrierte, die im 1. Frankfurter Auschwitzverfahren Mandate übernommen hatten. Dabei konnte Kalz feststellen, dass insbesondere Erhard jegliche professionelle Distanz verloren und sich vollends mit seinem Mandanten identifiziert hatte. Gleichermaßen hatte er während des Prozesses durchgehend die Strategie verfolgt, das Verfahren als politischen Schauprozess abzuqualifizieren.

In Anschluss stellte SARAH LANGWALD (Bochum) eine Gruppe von Juristen vor, die sich selbst als antikommunistisch bezeichneten, gleichzeitig aber die vornehmlich gegen Kommunist*innen gerichtete „politische Justiz“ in der Bundesrepublik bis 1968 kritisierten. Diese Gruppe, zu der unter anderem der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann zählte, schloss sich im „Initiativ-Ausschuss für die Amnestie und der Verteidiger in politischen Strafsachen“ zusammen. Langwald verfolgte in ihren Ausführungen die Frage, weshalb sich diese erklärten Antikommunisten so intensiv für KommunistInnen einsetzten. Sie hob hervor, dass ihre Hauptmotivation vor allen im Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit lag, verbunden mit einer Kritik am Gesinnungsstrafrecht in politischen Prozessen in der Bundesrepublik.

Die nächsten drei Präsentationen bildeten das dritte Panel mit dem Titel „Ideologisierung und (Selbst-)Instrumentalisierung“. Es begann KATARZYNA WONIAK (Berlin) mit einem Beitrag über praktische Umsetzung der sogenannten Polenstrafrechtsverordnung von 1941. Die Verfahren auf Grundlage dieser Verordnung fanden meist vor den NS-Sondergerichten statt. Woniak stellte fest, dass die Richter an den Sondergerichten die Polenstrafrechtsverordnung bereitwillig anwandten. Bei der Verfolgung der polnischen Bevölkerung arbeiteten Justiz, Polizei und SS oft zusammen, dennoch gab es dabei die NS-typischen Zuständigkeitskonkurrenzen, welche erst 1943 zu Gunsten der Gestapo abschließend geregelt wurden.

Im sich anschließenden Vortrag beschäftigte sich ULRIKA MIENTUS (Marburg) mit der Konstruktion bzw. Dekonstruktion von TäterInnen-Bildern in „Euthanasie“-Prozessen in der SBZ vor und nach dem SMAD-Befehl 201 vom 16. August 1947. Mientus konstatierte, dass der SMAD-Befehl 201 eine erhebliche Zäsur für die strafrechtliche Aufarbeitung von NS-Verbrechen bedeutete. Während vor diesem Befehl die NS-Prozesse zum Teil auf Naturrechtskonstruktionen basierten und die individuelle Handlungsmacht betonten, war nach dem Befehl 201 die Exkulpationsmöglichkeit gegeben, sich auf höheren Befehl oder ähnliches zu berufen. Dahinter stand die Intention der Machthabenden in der SBZ – so die These von Mientus – zwischen rechtlich denkenden Menschen, die nur von der Normalität abgewichen waren, und überzeugten Nationalsozialisten zu unterscheiden, um denjenigen der ersten Kategorie Integrationsangebote in die ostdeutsche Gesellschaft zu schaffen und die eigene Herrschaft zu stabilisieren.

Der folgende Beitrag von EVA SCHÄFFLER (Berlin) behandelte die Grenzen der staatlichen Einflussnahme auf die Justiz der DDR in Bezug auf die „Antischeidungspolitik“ 1965-1975. Seit deren Gründung gab es steigende Scheidungszahlen, sodass die DDR-Führung ab 1965 Gegenmaßnahmen ergriff. Hinter diesen Maßnahmen standen sowohl ideologische als auch bevölkerungspolitische Intentionen. Die bevölkerungspolitische Intention war, dass möglichst viele Kinder geboren werden sollten, die ideologische war, dass man stabile Ehen als Grundvoraussetzung für eine hohe Natalität betrachtete. Die in der DDR eingerichteten Kreisgerichte sollten als Vollstrecker dieser Antischeidungspolitik dienen. In der Praxis – so die Feststellung von Schäffler – setzten die Kreisgerichte die ihnen zugedachte Aufgabe keinesfalls um, vielmehr wurden die intendierten Ziele verfehlt.

Der zweite Tag des Workshops am 27. Januar begann mit dem vierten Panel zum Thema „Transitional Justice“. Den ersten Vortrag dieses Panels hielt PAULINA GULIŃSKA-JURGIEL (Halle) über die justizielle Aufarbeitung von NS-Verbrechen durch die Volksrepublik Polen und die Bunderepublik Deutschland. Ins Zentrum ihres Vortrages stellte Gulińska-Jurgiel die Zusammenarbeit der „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ mit ihrem polnischen Pendant, der „Hauptkommission für die Erforschung nationalsozialistischer Verbrechen in Polen“. Diese Zusammenarbeit äußerte sich durch gegenseitige Rechtshilfeersuchen und war lange Zeit bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen das einzige Kommunikationsmedium zwischen beiden Staaten. Aufgrund sprachlicher Barrieren und unterschiedlicher Rechtsauffassungen funktionierte diese Kommunikation allerdings nur eingeschränkt.

Den zweiten Vortrag dieses Panels übernahm KATHARINA STENGEL (Leipzig), die sich der Rolle von OpferzeugInnen in NS-Prozessen am Beispiel der Frankfurter Ausschwitzprozesse widmete. Stengel stellte dabei heraus, dass ein großer Teil der Beweislast in den jeweiligen Verfahren auf den OpferzeugInnen lag, gleichzeitig das Verhältnis zwischen ihnen und der Justiz aber äußerst angespannt und von gegenseitigem Misstrauen geprägt war. So befand die Justiz die Aussagen dieser OpferzeugInnen oftmals als juristisch untauglich, wenn diese zwar von Tötungen wussten, die unmittelbare Tötungshandlung aber nicht gesehen hatten. Für die OpferzeugInnen war die Sichtweise der Justiz wiederum nicht nachvollziehbar. Als ursächlich für diese Diskrepanz sah Stengel die Weigerung der bundesdeutschen Justiz bzw. des Staates an, den besonderen Charakter von NS-Prozessen zu erkennen, die stattdessen wie herkömmliche Strafprozesse verhandelt wurden.

Den letzten Vortrag des vierten Panels hielt PHILIPP EBERT (Cambridge) über die Mauerschützenprozesse in den 1990er-Jahren. Ebert ging darin vorrangig der Frage nach, wie es zu diesen Prozessen kam und wieso die bundesdeutsche Justiz es als ihre Aufgabe ansah, die Mauerschützen justiziell abzuurteilen. Mit der Gründung der „Zentralen Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltungen“ wurden in der Bundesrepublik bereits lange vor dem Mauerfall Vorkehrungen getroffen, Mauerschützen strafrechtlich zu verfolgen. Tatsächlich kam es dann aber erst nach der Wiedervereinigung zu den Mauerschützenprozessen. Trotz des politischen Charakters dieser Verfahren, in denen es schließlich auch darum ging, Regierungskriminalität zu verhandeln, war es nach Auffassung Eberts gelungen, diese weitgehend zu entpolitisieren und von tagespolitischen Erwägungen der Bundesregierung loszulösen.

Das letzte Panel trug die Überschrift „Interdisziplinäre Perspektiven“. NIKE THURN (Bielefeld) widmete sich dem juristischen Umgang mit der Kunstfreiheit in der Weimarer Republik aus literaturwissenschaftlicher Perspektive. Im Zentrum ihres Interesses stand die Frage, wann ein Text als Kunst gewertet wurde und welche verschiedenen Begründungen hierfür herangezogen wurden. Thurn konstatierte, dass es verschiedene Irritationen bei der Auslegung des neuen Grundrechts auf Kunstfreiheit in der Weimarer Republik gab. Oft wurde je nach Blickwinkel der Akteure (Kultusministerium, Justiz, Kunstschaffende) Kunst als Freiheit oder als Bedrohung wahrgenommen. Insbesondere wurden Kunst und Unsittlichkeit – letzteres war ein häufiges Kriterium, Texten den Kunststatus abzuerkennen – als sich gegenseitig ausschließend angesehen.

Anschließend präsentierte BIRGIT APITZSCH (Göttingen) eine erste Bestandsaufnahme einer soziologischen Studie über vorherrschende Mentalitäten von RichterInnen und StaatsanwältInnen in der ordentlichen niedersächsischen Gerichtsbarkeit. Sie konstatierte für den Juristenstand auf allgemeiner Ebene eine „vor- und nachgelagerte professionelle Kontrolle“ seiner Angehörigen über die „Regulierung von Ausbildung“ und den „Zugang zu Beförderung“. Es gäbe eine starke Einbindung in „Praxisgemeinschaften“ und Abstimmungen in Spruchkörpern und Abteilungen, aber auch in „Kaffeerunden“ außerhalb des unmittelbaren dienstlichen Settings. Dieser Praxis stünde aber gleichzeitig das Einzelrichterprinzip entgegen. Auch könne eine Diskrepanz zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtsdogmatik ausgemacht werden, da RichterInnen und StaatsanwältInnen einerseits dazu angehalten wären, „das Leben hinter den Fällen“ bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen, andererseits an Rechtsnormen jenseits persönlicher Erwägungen gebunden seien.

Den Abschluss der Einzelvorträge bildete der Beitrag von STEFAN A. STODOLKOWITZ (Lüneburg), in welchem er das Verhältnis zwischen Politik und Recht in der justiziellen Praxis analysierte. Seine zentrale These war, dass Gerichtsbarkeit und Politik stets zu trennen seien. Hierzu bedürfe es einer unpolitischen Justiz und unabhängiger RichterInnen, die nur dem Gesetz und ihrem Gewissen unterworfen sind, um so immun gegen politische Einflussnahme zu sein. Dies sei zwingend notwendig, damit RichterInnen ihre zentrale Aufgabe, nämlich abstrakte Rechtssätze auf konkrete Einzelfälle anzuwenden, optimal ausführen könnten.

Die Abschlussdiskussion konzentrierte sich im Wesentlichen auf die von Stodolkowitz formulierte These. Verschiedentlich wurde dem entgegengehalten, dass das Postulat einer unpolitischen Justiz letztlich ein konservatives bzw. anachronistisches Argument sei; dies führe in der Praxis eher dazu, dass sich die Justiz ihrer Möglichkeiten der Rechts- und damit der Gesellschaftsgestaltung beraube, denn eine aktive Rechts- und Gesellschaftsgestaltung sei letztlich immer auch politisch. Stodolkowitz entgegnete, dass Recht selbstverständlich auch gestaltbar und veränderbar sei, allerdings sei das nicht die Aufgabe der Justiz, sondern des Gesetzgebers. Auch habe zwar jeder Richter oder jede Richterin individuelle politische Überzeugungen, müsse diese aber hinter das positive Recht zurückstellen und dürfe sich in der Urteilsfindung davon nicht beeinflussen lassen. In weiteren Diskussionsbeiträgen wurde die These formuliert, dass der Terminus der politischen Justiz nicht notwendigerweise die Missachtung der richterlichen Unabhängigkeit bedeute. Vielmehr habe es in der Bundesrepublik von Adolf Arndt und anderen bereits in den 1950er-Jahren Vorstöße gegeben, sich vom als überholt und lebensfremd angesehenen Dogma einer vermeintlich unpolitischen Justiz zu lösen und stattdessen RichterInnen auf Grund der Erfahrungen des „Dritten Reiches“ politisch im Sinne einer rechtsstaatlichen und demokratischen Grundordnung zu schulen. Dies sei notwendig, um das Justizwesen gegen totalitäre Einflussnahme immunisieren zu können. Diesen Überlegungen folgend wurde in der Diskussion noch ergänzt, dass die Dichotomie Politik/Justiz generell künstlich sei, die in der Realität so nicht existiere. Daher sei es notwendig, dass sich das Justizwesen vom Postulat des Unpolitischen löst. Diese Loslösung wiederum würde keinesfalls die Unabhängigkeit der Justiz in Zweifel ziehen.

Insbesondere an Hand der Abschlussdiskussion wurde das Potential der eingangs formulierten Intention des Workshops deutlich. Die Frage, wie politisch Justiz ist bzw. wie politisch sie sein soll, führte zu kontroversen Auffassungen, die sehr grundsätzlicher Natur waren. Auch konnten die einzelnen Beiträge zeigen, wie das Justizwesen in Deutschland im 20. Jahrhundert von Inkonstanzen, Brüchen und vielen Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis geprägt war. Die Thematik birgt also durchaus noch ein großes Forschungspotenzial.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Sonderformen der Justiz

Johanna Rakebrand (Berlin): Disziplinargerichtsbarkeit in Theresienstadt

Eva Balz (Bochum): Ein internationales Richterkollegium unter politischer Beobachtung: Das Oberste Rückerstattungsgericht für Berlin

Philipp Dinkelaker (Berlin): Der Umgang mit „jüdischer Kollaboration“ in Nachkriegsdeutschland – Ehrengerichts-, Straf- und Sozialhilfeverfahren von und gegen Überlebende der Shoah

Panel 2: Praktiken der Verteidigung

Timo Walz (Berlin): Revolution und Recht. Linke Strafverteidiger und die Berliner „Spartakus Prozesse“ 1919

Karin Trieloff (Berlin): Rechtsanwälte als Behördenvertreter? „Amtliche Verteidiger“ im besetzten Rheinland, 1918–1930

Eva-Lotte Kalz (Göttingen): „Nazi-Verteidiger“ im Gerichtssaal und hinter den Kulissen? Rechtsanwälte in NSG-Verfahren der 1960er und 1970er Jahre

Sarah Langwald (Bochum): Wenn Antikommunisten Kommunisten verteidigen – Kritik an der „politischen Justiz“ in der Bundesrepublik, 1949–1968

Panel 3: Ideologisierung und (Selbst )Instrumentalisierung

Katarzyna Woniak (Berlin): Justizielle Handlungsspielräume. Die Pollenstrafrechtsverordnung von 1941 in der Praxis

Ulrika Mientus (Marburg): Aufarbeitung vs. Autoritäre Ordnung? NS-Prozesse und die (De)Konstruktion der Täter*innen in der SBZ/DDR

Eva Schäffler (Berlin): Die DDR-Justiz als Vollstreckungsorgan der SED? Grenzen der staatlichen Instrumentalisierung am Beispiel der ,Antischeidungspolitik‘

Panel 4: Transitional Justice

Paulina Gulińska-Jurgiel (Halle): Justizielle Aufarbeitung der NS-Verbrechen durch die Volksrepublik Polen und die BRD nach 1945: Rechtsverständnis, Rechtspraxis und Rechtssprache

Katharina Stengel (Leipzig): Opferzeugen in NS-Prozessen – Herausforderungen einer vermeintlichen strafprozessualen Normalität

Philipp Ebert (Cambridge): Transitional Justice im wiedervereinigten Deutschland: Die Mauerschützenprozesse und die Frage nach dem Ort der politischen Verantwortung

Panel 5: Autonomie der Justiz: Interdisziplinäre Perspektiven

Nike Thurn (Bielefeld): „Irritierende Schrankenlosigkeit“. Die Freiheit der Kunst als Herausforderung in der Weimarer Republik

Birgit Apitzsch / Berthold Vogel (Göttingen): Die Hüter von Recht und Ordnung? Institutionelle Kultur, institutionelle Reproduktion und institutioneller Wandel in der Rechtsprechung

Stefan A. Stodolkowitz (Lüneburg): Von Rechts wegen. Der unpolitische Richter als Schutz vor einer politischen Vereinnahmung der Justiz

Abschlussdiskussion


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